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In ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Fraktion Bündnis 90/ die Grünen zur Minority SafePack Initiative führt die Bundesregierung aus, dass sie grundsätzlich stets weitere Bestrebungen zum Schutz und zur Förderung nationaler Minderheiten befürwortet, wie einer Pressemitteilung des Minderheitensekretariats zu entnehmen ist. Zu den einzelnen Forderungen der Europäischen Bürgerinitiative, Minority SafePack' gibt es noch keine Position der Bundesregierung, heißt es in der Antwort weiter. Es bleibe zunächst abzuwarten, "ob und wann die Organisatoren der Initiative diese mit den validierten Unterschriften der Europäischen Kommission offiziell vorlegen und inwieweit die Kommission gegebenenfalls die einzelnen Forderungen der Initiative aufgreift".
Zugleich verweist die Bundesregierung darauf, dass das Rahmenübereinkommen des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten (RÜNM) und die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (ECRM) bereits ein hohes Schutzniveau für die nationalen Minderheiten in Europa gewährleisteten. Beim Umgang mit der "Minority SafePack"-Initiative werde daher zu berücksichtigen sein, "dass auf Ebene der Europäischen Union kein ,Konkurrenzregime' zu diesen beiden Europaratsabkommen etabliert werden sollte, durch das ineffektive Parallelstrukturen geschaffen werden" Zudem könnte „mit der Etablierung eines eigenständigen Schutzregimes für nationale Minderheiten auf der Ebene der Europäischen Union die Gefahr einhergehen, dass sich in Fragen des Minderheitenschutzes der Fokus vom Europarat auf die Europäische Union – mit gegebenenfalls niedrigerem Schutzniveau als auf der Ebene des Europarats – verschiebt und dadurch auch die Gewährleistung des Minderheitenschutzes“
Nicht nur um dieser irreführenden Positionierung der Bundesregierung auf den Grund zu gehen, hat die FUEN den Experten auf dem Gebiet des Europäischen Minderheitenschutzes, Prof. Dr. Dr. Rainer Hofmann*, gebeten, eine Expertise zum Stellenwert der MSPI für den Minderheitenschutz in den EU-Staaten abzugeben. Hofmanns fundierte Einschätzungen geben sehr deutlich wieder, dass die von der MSPI geforderte Verankerung von Minderheitenrechten im Rechtsrahmen der Europäischen Union einen Mehrwert für den Minderheitenschutz in Europa darstellt und nicht als Konkurrenz zu den bereits bestehenden völkerrechtlichen Abkommen des Europarats anzusehen ist.
Sehr geehrter Herr Prof. Hofmann, wie bewerten Sie die Vision der MSPI-Initiatoren, Minderheitenrechte in der EU-Gesetzgebung zu verankern? Welchen Stellenwert nimmt für Sie die MSPI für den Minderheitenschutz auf europäischer Ebene ein?
Hofmann: Ich halte dieses Vorhaben für eine ebenso gebotene wie sinnvolle Initiative, die in Art. 2 iVm Art. 3 Abs. 3 (4) EUV niedergelegte Verpflichtung der EU, die Rechte der Personen, die Minderheiten angehören, wirksam zu schützen, in die Wirklichkeit umzusetzen. Auf Unionsebene hat die MSPI als die erste koordinierte und vor allem von den Personen, die Minderheiten angehören, ausgehende und getragene Initiative offenkundig ganz zentrale Bedeutung. Ich meine auch, dass sie sich durchaus sinnvoll in die gesamteuropäische Architektur zu Wahrung und Förderung von Minderheitenrechten, an welcher der Europarat und die OSZE ja ganz maßgeblich beteiligt sind, einfügt.
So habe ich überhaupt keine Bedenken, dass sich etwa zwischen dem, was der Europarat in diesem Bereich seit mehr als 20 Jahren mit beachtlichem Erfolg betreibt, und dem, was die Union bei Umsetzung der Ziele des MSPI vor allem im Bereich der Erhaltung kultureller und sprachlicher Vielfalt erreichen könnte, schädliche Konkurrenzen oder unnötige Überlappungen ergeben könnten. Ich sehe hier vielmehr die große Möglichkeit sinnvoller Synergien: So könnten etwa Feststellungen der Überwachungsorgane von RÜNM oder ECRM, dass es in bestimmten Staaten an finanziellen Mitteln zum Erhalt solcher kultureller und sprachlicher Vielfalt in Bereichen wie Bildung, Kultur und Medien fehle, dazu führen, dass solche Mittel etwa aus dem EU-Fonds für regionale Entwicklung bereit gestellt würden.
Kann die MSPI dazu beitragen, den Schutz von Minderheiten in den EU-Staaten – ergänzend zu den bestehenden völkerrechtlichen Abkommen (RÜNM, ECRM) - zu verbessern und grenzüberschreitende Lösungen zu finden?
Hofmann: Ohne jeden Zweifel ja: Da sind zum einen diejenigen Mitgliedstaaten der EU - wie namentlich Belgien, Griechenland und Frankreich (Luxemburg hat immerhin die Sprachencharta ratifiziert) - für die bislang noch keines dieser Abkommen gilt. Für die Bereiche, die von der MSPI erfasst sind, würde hier erstmals eine völkerrechtliche Verankerung solcher Rechte geschaffen. Aber auch für die anderen Mitgliedstaaten der EU wird sich wegen der - im Vergleich zu RÜNM und ECRM - deutlich höheren Verbindlichkeit künftigen minderheitenrelevanten Unionsrechts eine stärkere Absicherung und verbesserte Durchsetzung ergeben; dies gilt natürlich insbesondere für Bereiche wie das Urheberrecht, wo das MSPI ja darauf abzielt, durch die Schaffung von verbindlichem Unionsrecht sicherzustellen, dass Medien und Dienstleistungen in der Muttersprache, auch grenzüberschreitend wahrgenommen werden können. Aber auch der Erlass rechtlich nicht verbindlicher Maßnahmen, wie etwas Empfehlungen, z.B. zur Förderung kultureller Vielfalt, wird erhebliche Auswirkungen haben. Schließlich möchte ich nachdrücklich auf die Möglichkeiten hinweisen, im Rahmen des einschlägigen Unionsrechts grenzüberschreitende Initiativen zur Wahrung und Förderung von Minderheitenrechten 'beiderseits der jeweiligen Grenzen' einzuleiten, durch Aufnahme solcher Programme in die Ziele des EU-Fonds für regionale Entwicklung ausreichend zu finanzieren und in gewissem Umfang zu koordinieren; solche gewissermaßen unionsgeführten Vorhaben könnten aus meiner Sicht den Problemen, die sich bisher immer wieder im bilateralen Verhältnis zwischen den betroffenen Staaten aus unterschiedlichen Einschätzungen der Rolle von kin-states ergeben, deutlich besser begegnen.
Welchen Mehrwert hätte die Umsetzung der Europäischen Bürgerinitiative Minority Safepack für nationale Minderheiten in der Europäischen Union? Welche Staaten innerhalb der Europäischen Union haben den größten Nachholbedarf bei der Umsetzung oder Begründung von Minderheitenrechten?
Hofmann: Ein erster Mehrwert liegt schon in der Signalwirkung der Umsetzung des MSPI: Die Union nimmt ihre diesbezügliche Verpflichtung aus Art. 2 iVm Art. 3 Abs. 3 (4) EUV (endlich) ernst. Weitere Mehrwerte sehe ich in den schon angesprochenen Bereichen einer Reform des Urheberrechts, womit auch Initiativen zur Sicherung der Leistung und Inanspruchnahme audiovisueller Inhalte in Minderheitenregionen gehören, sowie die bedingungslose Aufnahme einer verbesserten Förderung der Belange von Minderheiten in die Ziele des EU-Fonds für regionale Entwicklung. Ganz allgemein ist die Umsetzung der Ziele der MSPI ein äußerst geeigneter Schritt, die Wahrung und Förderung der kulturellen und sprachlicher Vielfalt Europas, auf die sich Politiker jeglicher Couleur ja so häufig berufen, zur Wirklichkeit werden zu lassen, indem angemessene Mittel zur Verfügung gestellt werden; so halte ich Programme zur Förderung des Erhalts zahlenmäßig kleinerer Sprachen oder zur Finanzierung von Forschungsprojekten über den Mehrwert von Minderheiten in unseren Gesellschaften für geboten und sinnvoll; auch die Gründung oder jedenfalls substantielle finanzielle und ideelle Unterstützung eines Zentrums für sprachlich Vielfalt halte ich für unbedingt bedenkenswert.
In welchen Bereichen könnte die Umsetzung der Forderungen des MSPI die größten Fortschritte für die Minderheitenpolitik in der EU erzielen?
Hofmann: Zunächst ist dies der weite Bereich der Wahrung und Förderung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt Europas, eines der in Art. 3 Abs. 3 (4) EUV ja ausdrücklich genannten Ziele der Union. Dafür braucht es, so banal es klingt, ausreichender finanzieller Mittel; einen beachtlichen Beitrag hierzu kann die Union aufgrund der Umsetzung der Ziele des MSPI in allen seinen Bereichen leisten. Meine langjährige Tätigkeit für den Europarat im Bereich des Minderheitenrechts hat mich auch gelehrt, dass die Wahrung und Förderung der sprachlichen und kulturellen Identität von Personen, die nationalen Minderheiten angehören, ganz entscheidend für die Erhaltung der eigenständigen Identität dieser Menschen ist. Die Gewissheit, diese eigenständige Identität bewahren zu können, ist aber auch essentielle Voraussetzung für die Schaffung und Erhaltung wirklich integrierter Gesellschaften - ein Ziel, das zu erreichen, gerade in der gegenwärtigen Zeit, die zunehmend von Intoleranz und Ausgrenzung der 'anderen' geprägt ist, von ganz herausragender Bedeutung ist. Aktive, auf wahrhaft integrierte Gesellschaften zielende Minderheitenpolitik ist daher sehr viel mehr als Politik zur Erhaltung kultureller und sprachlicher Vielfalt: Sie ist vielmehr unabdingbarer Bestandteil einer jeden europäischen Politik, die das - unionsrechtlich gesprochen - in Art. 3 Abs. 1 EUV verankerte, oberste Ziel der europäischen Einigung, nämlich Förderung des Friedens, der Werte der Union und des Wohlergehens ihrer Völker in den Mittelpunkt stellt.
*Prof. Dr. Dr. Hofmann ist Professor der Rechtswissenschaften an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht. Von 1998-2004 und 2010-2012 war er Präsident des Beratenden Ausschusses zum Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarats und hat bereits diverse Publikationen zum Minderheitenschutz in Europa herausgegeben: u.a. der Handkommentar zum RÜNM, erschienen 2015 im Nomos Verlag.
(Photoquelle: Minderheitensekretariat)